Angehörige der DDR-Grenztruppen beschlagnahmen an der Grenze im Harz Werkzeuge des BGS
PHW Künstel / Goslar, den 11.12.79
BV-Meldung zur Grenzverletzung 11.12.1979
Heute früh erhielt ich gegen 7.15 Uhr von POM Spaan den Auftrag, mit einer
Gruppe (1/6) in den mittleren Grenzabschnitt zu fahren, um Grenzschilder zu
setzen.
Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, verließen wir etwa um 8.10 Uhr die
Unterkunft und erreichten gegen 9.10 Uhr den Grenzpunkt 790,1 an der Ulmer
Linie.
Nach Verteilung der Einzelaufträge an die Gruppe, begab ich mich mit POW Lücke
zum Grenzpunkt 38, um von dort weitere neue Grenzschilder in nördlicher Richtung
auszufluchten.
Um 11.20 Uhr hatten wir den Grenzpunkt 36 erreicht (zwei Pfähle mit Schild /
zwei Pfähle ohne Schild gesetzt).
Kurz darauf erhielten POW Grimm und PHW z.A. Potapow von mir den Auftrag, das
Werkzeug zum Grenzpunkt 35 zu transportieren.
Ich selbst begab mich zum ca. 200 m südlich stehenden Fahrzeug, um die bisher
gesetzten Schilder in die Grenzverlaufsskizze einzutragen.
Als ich gleichzeitig eine neue Fluchtstange holen wollte, ereignete sich
folgender Vorfall:
PHW z.A. Potapow kam mir aufgeregt und schwer atmend entgegen und meldete:
"Am Grenzpunkt 35 stehen zwei NVA-Soldaten mit Kalaschnikow im Anschlag.
Sie beschlagnahmten das dort liegende Werkzeug, da es auf DDR Gebiet lag.
Sie verlangten, den Führer des Arbeitskommandos zu sprechen, um Protest einlegen
zu können!"
Sofort begab ich mich an die betreffende Stelle, um mich vom Tatbestand zu
überzeugen.
Ich wendete mich an die zwei NVA-Soldaten, da ich auf ihren Protest wartete.
Es war etwa 11.35 Uhr und der ältere der beiden Soldaten begann:
"Hiermit protestiere ich gegen eine Grenzverletzung durch bewaffnete Kräfte des
BGS auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik.
Außerdem protestiere ich gegen eine Grenzverletzung durch das abgelegte Werkzeug
der bewaffneten Kräfte des BGS auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen
Republik und verlange, dass Sie in kürzester Zeit Ihren Vorgesetzten davon in
Kenntnis setzen und ihn hierher beordern.
Das Werkzeug bleibt so lange als dokumentarisches Beweismaterial an diesem Ort,
und die Arbeit wird sofort niedergelegt."
Daraufhin antwortete ich:
"Hiermit habe ich ihren Protest zur Kenntnis genommen und werde weitere Schritte
einleiten."
Sogleich ging ich zum Wagen der inzwischen eingetroffenen Zollbeamten und bat
sie, die Meldung an die Abteilung I/5 Goslar weiterzuleiten, da ich nur ein FuG
10a zur Verfügung hatte.
Die Zollbeamten erledigten meine Bitte und teilten mir mit, dass ich mich bis
zum Eintreffen der Sonderstreife am Ort des Geschehens aufhalten sollte.
In dieser Zeit machten die NVA-Soldaten einige Aufnahmen vom Tatort und dem
Beweismaterial.
Um 12.10 Uhr traf POM Freyer am gewünschten Platz ein, ließ sich von mir kurz
einweisen und begab sich zu den zwei NVA-Soldaten, die in der Zwischenzeit als
ein Hauptmann und ein Unterleutnant erkannt worden waren.
Der Hauptmann der NVA sagte das Folgende:
"Hiermit protestiere ich gegen eine Grenzverletzung durch bewaffnete Kräfte des
BGS auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik.
Außerdem protestiere ich gegen eine Grenzverletzung durch das abgelegte Werkzeug
der bewaffneten Kräfte des BGS auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen
Republik.
Dann verlange ich, dass bei folgenden Arbeiten dieser Art keine weiteren
Grenzverletzungen vorkommen.
Die Fluchtstange und den Spaten dürfen Sie sich zurück holen, der Stampfer
bleibt als Beweismaterial zu unserem Dokumentationsbericht mit Bild auf unserer
Seite.
Haben Sie das verstanden?"
POM Freyer bejahte diese Frage, nahm Fluchtstange und Spaten an sich und begab
sich gemeinsam mit uns allen zurück zum Fahrzeug. Dort gab ich POM Freyer einen
Kurzbericht des Vorgefallenen.
Mein weiterer Befehl lautete nun, sofort die Arbeit einzustellen, den Standort
Goslar zu erreichen und mich bei I/S zu melden, um eine genaue Meldung
abzugeben.
Auch musste POM Horst Spaan einen genauen Bericht
über das Pionier-Werkzeug "Stampfer" mit Zeichnungen einreichen, da es in keinem
Werkzeugsatz des BGS aufgeführt war. Es war ja eine Selbstanfertigung aus dem
Pi-Zug! (Kommando Nord)
Einen Monat nach der "Vereinnahmung" durch die DDR-Grenztruppen kam der
Stampfer dann über die Grenzübergangsstelle Helmstedt zurück in die
BGS-Abteilung nach Goslar. Und ich habe ihn (mit einem Messingschild versehen)
1996 von dem Leiter des Technischen Zuges Klaus Hinz zu meinem 25-jährigen
Dienstjubiläum geschenkt bekommen.
Aufgezeichnet im Jahr 2017 von Udo Künstel, ehem. Angehöriger des
BGS-Standortes Goslar
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