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Seite erstellt: 13.04.2015
Letzte Änderung: 07.01.2019
Die Jugendliche Olivia - eine permanente Grenzverletzerin
Die Jugendliche Olivia bereitete im Sommer 1984 sowohl dem Bundesgrenzschutz und Zollgrenzdienst auf westlicher Seite als auch den DDR-Grenztruppenangehörigen auf der östlichen Seite der innerdeutschen Grenze im nördlichen Vorharzgebiet bei Wiedelah einiges Kopfzerbrechen.
In den Streifenberichten der BGS- und Zollgrenzbeamten tauchte vermehrt auf, dass eine Jugendliche aus dem grenznahen Ort Wiedelah bewusst das Gebiet der DDR betreten habe und dort auf dem sog. vorgelagerten Hoheitsgebiet der DDR spazieren gegangen sei.
Selbst gutes Zureden noch eindringliche Ermahnungen durch BGS- und Zollgrenzstreifen konnten sie nicht davon abhalten, das DDR-Gebiet zwischen dem tatsächlichen Grenzverlauf (gekennzeichnet durch Grenzsteine und die weiß-roten Pfähle) und dem Metallgitterzaun zu betreten und sich dort einige Zeit aufzuhalten.
Da ihr bei ihrem ersten Aufenthalt auf DDR-Gebiet nichts passiert war, entwickelte sie aus diesem nachmittäglichen kleinen Grenzverkehr nach und nach eine sportliche Übung. Der eigentliche Grund jedoch war, dass sie mit dieser Aktion Aufmerksamkeit erzeugen konnte und sich nun andere Menschen um sie sorgten und kümmerten.
Es war aber absehbar, dass nicht jeder Spaziergang glimpflich ausgehen würde. Die BGS-Streifen wurden angewiesen, bei Bekanntwerden weiterer Handlungen umgehend Meldung per Funk abzusetzen, damit von höherer Stelle etwas veranlasst bzw. selbst eingegriffen werden konnte.
So geschehen, setzte sich bei einem weiteren Grenzspaziergang von Olivia sogar ein Hubschrauber vom Grenzschutzkommando aus Hannover in Bewegung. Der eingeflogene BGS-Offizier für Grenzsicherheit gab der Jugendlichen unmissverständlich zu verstehen, in welche Gefahr sie sich mit ihren Aktionen begibt und dass sie zukünftig nicht mehr das Gebiet der DDR betreten solle. Mit dem guten Gefühl, durch seinen persönlichen Einsatz diese Art der Grenzverletzungen nunmehr ein für alle mal beendet zu haben (schließlich hat das Wort eines Offiziers ja Gewicht), begab er sich wieder auf den Rückflug nach Hannover. Kaum war der Hubschrauber in der Luft und nach Nordwesten abgedreht, hatte Olivia nichts Besseres zu tun, als noch eine kleine Runde auf DDR-Gebiet zu drehen. Sie konnte einfach nicht von ihrem Handeln lassen und brachte wiederum die BGS-Angehörigen und die Zöllner mächtig ins Schwitzen.
Und die DDR-Grenztruppen ließen sie trotz der erheblichen Provokation zunächst gewähren. Zwar befanden sich bei dem einen oder anderen Grenzspaziergang von Olivia auch sog. DDR-Grenzaufklärer (GAK) vor dem Zaun und hätten sie gefangen nehmen können. Mit einer Gefangennahme hätte Olivia natürlich noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt. Vielleicht hatte man es aber auch ihrem jugendlichen Alter zugute gehalten und deshalb auf einen Zugriff verzichtet. Selbst auf eine schriftliche oder mündliche Meldung der DDR-Grenzer an die nächst höhere Dienststelle wurde verzichtet. Wahrscheinlich auch deshalb, weil eine solche Meldung neben den rechtfertigenden Stellungnahmen mit viel „Schreibkram“ verbunden gewesen wäre. Und dazu hatten die „Grenzer-Ost“ genauso wenig Lust, wie die „Grenzer-West“. Außerdem war der Spuk nach kurzer Zeit ja auch wieder vorbei und die „Grenzverletzerin“ auf „ihre Seite“ zurück gekehrt. Aber es wurden einige Erinnerungsfotos „geschossen“. Wann bekommt man im Grenzdienst schon mal so netten Besuch? Wenigstens die Erinnerung daran sollte festgehalten werden.
Schließlich gab es aber doch noch ein Eingreifen der DDR-Grenzer. Bei einem ihrer Grenzspaziergänge an den Zaun stieß Olivia auf eine Kabeltrommel, die den Grenzaufklärern dazu diente, sich an das Grenzmeldenetz, das hinter dem Zaun installiert war, anzuschließen. Olivia nahm die Kabeltrommel an sich und mit auf Bundesgebiet.
Als Tage später Grenzaufklärer den Verlust bemerkten, kam aus deren Sicht nur eine bestimmte Person für den Diebstahl des Staatseigentums infrage. Der nächste Ausflug von Olivia endete dann auch nicht mehr folgenlos. Die Grenzaufklärer versperrten ihr den üblichen Rückweg in Richtung Bundesrepublik, so dass sie gezwungen war, die Oker, durch die die Grenze verlief, zu durchwaten. Das Wasser der Oker war an dieser Stelle hüfthoch. Entsprechend nass und triefend musste Olivia dann ihren weiteren Heimweg fortsetzen. Sehr zur Freude der DDR-Grenzer – weniger spaßig für Olivia selbst.
Nach mehr als 30 Jahren kam es bei einer Grenzöffnungs-Jubiläumsfeier zu einem überraschenden Zusammentreffen ehemaliger Bundesgrenzschützer, Zollgrenzbeamter und Grenzaufklärer mit Olivia. Mittlerweile mit einem der damaligen Zollgrenzbeamten verheiratet, den Olivia bei ihren Grenzwanderungen kennengelernt hatte, konnte sie sich noch sehr gut an ihre Ausflüge auf DDR-Gebiet erinnern. Die Beteiligten von damals hatten sich viel zu erzählen. Und der Sohn des mittlerweile verstorbenen Grenzaufklärers, der ihr seinerzeit nur noch den Rückweg durch die Oker gelassen hatte, entschuldigte sich bei ihr für das Verhalten seines Vaters, worauf ihr Ehemann meinte: „Sie hatte es wohl nicht anders verdient!“
Mittlerweile können alle Betroffenen über die Zwischenfälle von 1984 nur noch schmunzeln und lachen. Aller Ärger von damals ist vergessen und eine neue Grenzgeschichte mit einem erfreulichen Abschluss geboren.
Erinnerungen von Lothar Engler, Helmut Maushake, Dirk Heinemann Fotos von Helmut Maushake und Lothar Engler Artikel verfasst im April 2015 von Wolfgang Roehl
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