Meine Zeit
bei den DDR-Grenztruppen in Freienhagen / Eichsfeld
Ich war dort ein Jahr im Grundwehrdienst - Mitte der 1970er Jahre und hätte
damals nicht gedacht, dass es mich jemals wieder ins Eichsfeld zieht.
Interessanterweise bewirkte der Umstand, dass man bis zum Ende der DDR wg. des
Sperrgebiets nicht mehr dort sein durfte, dass ich im Laufe der Zeit neugierig
wurde.
Nach der Wende habe ich Freienhagen mehrmals besucht.
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Die Freienhagener
Postenbereiche mit ihren Besonderheiten
1. Waldspitzen:
War selten besetzt, sicherlich weil man von dem in der Nachbarkompanie
Rustenfelde gelegenen BT „Heinebrink“ aus eine bessere Übersicht hatte.
Da unser Abschnitt ansonsten meist kahl war, freuten wir uns auf den seltenen
Dienst dort, obwohl wir nicht in den Wald hinein durften.
2. Hagelkreuz:
Konnte so ungemütlich sein, wie es klingt. Das Hagelkreuz ist ein altes Denkmal,
das in der DDR entfernt, mittlerweile aber neu errichtet wurde.
Ansonsten war da flaches Feld und ein stinkendes Futtersilo der LPG.
Wenn es nachts zu langweilig wurde, haben wir eines unserer Handleuchtzeichen
genommen und einen Stern in den Himmel geschickt.
Anschließend bin ich ans Grenzmeldenetz und meldete „atemlos“ einen Schatten,
der sich bei Lichte als irgendein Tier erwies.
3. Wasserbehälter:
Der stand neben dem Tor oberhalb von Freienhagen und wir saßen gewöhnlich drauf.
Wegen seiner eigentlichen Funktion ist der quaderförmige in Erde eingebettete
Bau noch nach der Wende vorhanden.
Der Weg zum dortigen Tor hieß Trift und führte anschließend im Schutzstreifen
links am Hof der Familie Krebs vorbei zu einer Grenzbucht Richtung BRD, „Freienhagener
U“ genannt. Durch das Tor mussten wir die LPG-Traktoren zur Feldarbeit
hereinlassen. Als erstmals ein Bauer mit Vollgas (statt im Schritttempo, wie ich
erwartet hatte, damit ich folgen konnte) an mir frisch gebackenem Postenführer
vorbei in das „U“ fuhr, war ich ziemlich erschrocken, hab aber nichts
unternommen.
Natürlich ist nichts passiert, weil das schon immer so war.
Nachts haben wir in diesem größten Postengebiet Rundgänge gemacht.
Neben dem Krebs-Hof stand immer ein alter Klepper auf der Koppel, einsam in der
Nacht.
Wir waren in der Hinsicht verwandte Seelen. Immer wieder versuchten Grenzer, das
Pferd zu reiten.
4. Mastenweg:
Nur Feld und mittendrin dieser Weg nach unten, Richtung BRD. Am linken Rand
stand eine Reihe Holzmasten, welchen der Weg seinen Namen verdankte.
Unten floss in einem Bogen (das kleinere Gegenstück zum o. g. „U“) der
Wendebach.
Am jenseitigen Ufer standen eine Reihe Pappeln und ein altmodisches,
turmartiges, weißgetünchtes Trafohaus. Halblinks in der Ferne waren Berge zu
sehen, die „Drei Gleichen“. In dieser Richtung lag auch Bremke, der nächste
Standort des Zollgrenzdienstes (ZGD). Noch weiter entfernt, in Duderstadt, hatte
der Bundesgrenzschutz (BGS) seinen Sitz.
Wir saßen am Mastenweg im Freien oder in einem stets feuchten, weil in die Erde
eingelassenen, kleinen Betonbunker.
Eine Sommer-Tagschicht konnte dort durchaus entspannend sein, wenn unten die
Pappeln im Winde rauschten und ihre Blätter im Licht ein Flimmern erzeugten.
Im „Westen“ ließ man doch tatsächlich im heißen Sommer in dieser gottverlassenen
Gegend einen Zeppelin mit der Aufschrift „Trinkt Wicküler-Pils“ aufsteigen.
Ich nahm damals wehmütig einen warmen Schluck Wasser aus meiner
Plastik-Feldflasche.
5. Vogelsang, BT 11 (runder Beton-Beobachtungsturm, 11 m hoch),
Führungspunkt:
Der stand am Ortsrand von Bischhagen, an der Straße Vogelsang, benannt nach dem
gleichnamigen Gut gleich hinter der Grenze, wo an dem Schlagbaum, mit dem die
Straße auf BRD-Seite endete, oft Leute vom BGS/ZGD eingewiesen wurden.
6. Kirschallee:
Sumpfiges, von Gräben durchzogenes Gebiet unterhalb des BT Vogelsang.
Unübersichtlich und neblig.
Selten besetzt, da am Tag vom BT Vogelsang einsehbar und nachts kaum begehbar.
Folglich stand dort eine Batterie Signalgeräte mit Platzpatronen bzw. Raketen,
deren Auslöser an mit braunem und grünem Kunststoff umhüllten Stolperfäden
hingen. Dort hatte der „Waffinger“ (Waffentechniker, bei uns ein Uffz.) zu tun
und mit Neulingen „S-Gerätesteigen“ veranstaltet: „Vorsicht S-Gerät“, wenn kein
Faden da war, damit das „Greenhorn“ trotzdem sein Bein hob, dieses am Ende aber
bei vorhandener Leine ungewarnt laufen lassen.
7. Kesselberg:
Der am wenigsten geliebte Posten war nahezu kahl. Dort saß man auf der Erde oder
im Schlamm.
Es gab eine Menge Mäuse, die sogar in die Postentaschen krochen und die
„Postenflöten“ (auf neudeutsch Sandwiches) anknabberten.
Auf dem Kesselberg hatte ich meine erste Nachtschicht mit dem gerade nicht zu
Gesprächen aufgelegten Postenführer und das Gefühl, die Zeit wäre stehen
geblieben.
8. Weißenborner:
An der Straße Siemerode (DDR) - Weißenborn (BRD). Von einem Tor aus wurde auch
der Posten Steinbruch angelaufen.
Nur weil die Weißenborner von dort aus nicht einzusehen war, wurde hier nachts
ein Postenpaar stationiert.
Schön war es, den Sonnenaufgang mit allen Farbschattierungen von blau bis rot
und dann Gelb zu erleben, über einem Horizont, der an der Weißenborner von dem
Doppelturm der Siemeröder Kirche geprägt war.
Richtung BRD war eine bewaldete Senke und dann das Dorf Weißenborn.
9. Steinbruch:
Zuletzt das wohl schönste Postengebiet, gleichzeitig der höchste Punkt der
Kompanie mit einem entsprechenden Blick ins Land.
Der alte Steinbruch war in einen mittlerweile mit Dornbüschen und anderem
Wildgewächsen überwucherten Hügel gegraben worden.
Oben stand zuletzt ein BT 6, vorher ein Holzturm, der fast Wildwestromantik
aufkommen ließ.
Innen war der Holzturm völlig mit geritzten Graffitis bedeckt. Die äußere
Verkleidung und die Soldatenbank wurden allmählich illegal verfeuert.
Wer im Frühling vom Kesselberg als Grenzstreife herüberkam, sah einen
leuchtendgelben Rapshügel, eben von diesem Holzturm bekrönt.
Dahinter begann mit dem Sperlingsberg die Kompanie Günterode.
Auf dem Weg zur Weißenborner lief Schrotti vor mir, sprang plötzlich zur Seite
und riss die Kaschi durch, weil er im Dunkeln einen gefällten Baumstamm für eine
liegende Person hielt. Ich blieb ruhig, nicht weil ich mutig, sondern weil ich
müde und auch abgestumpft war.
Nach monatelangem Grenzdienst ohne ernstes Vorkommnis konnte ich mir nicht mehr
vorstellen, draußen auf eine Person zu treffen, die dort nicht hingehörte.
Es waren immer nur Wildtiere aufgetaucht.
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Musik am „Kanten“
Musik, insbesondere Rock gab uns ja ein Gefühl der Freiheit, weckte Emotionen,
die wichtig waren, um das tägliche Diensteinerlei besser zu ertragen.
Es war so, dass mir bestimmte Titel damals nicht aus dem Sinn gingen und ich,
wenn ich sie nicht wirklich hören konnte, im Geist abspielte.
Da war zunächst "In A White Room" von Cream. Den Titel hat einer im Kino des
Ausbildungsregiments aufgelegt. Die Kinoanlage gab die Musik großartig,
livehaftig wider. Ähnlich, aber noch länger war "Lost Angeles" von Colosseum.
Auf einem LKW Richtung Baustelle Grenzzaun spielte ein Soldatenradio NDR mit
Blues im Programm, insbesondere Freddie King.
Der Waffinger spielte ständig eine Lizenzplatte von Hendrix. Freizeit und "All
Along The Watchtower" indirekt vom Nachbarzimmer über den Hof wieder ins Fenster
rein war zum träumen.
Unser Heimgänger „Kutte“ sang draußen ständig „Poor Boy“ von den Lords und
schwor auf die rebellischen Who, insbesondere mit "My Generation“.
Unser Zugführer war begeisterter Stones-Fan. Bei Rockmusikgesprächen auf dem BT
11 haben wir die Dienstgrade und das Sie vergessen können. Kein Wunder, wir
waren gleichaltrig.
Zum Wetter
Im Herbst, vor ihrem Heimgang, machten uns die Gänger Angst vor dem Winter. Sie
prophezeiten, dass die Vögel tot von den Telefondrähten fallen würden und dass
wir beim Pinkeln rückwärts gehen müssten, da der gefrierende Strahl Eiszapfen
bildet.
Aber der Winter ´74/´75 war mild. Ich hatte nur eine Nachtschicht mit Schnee,
knapp unter dem Gefrierpunkt. Allerdings fiel unser LO aus, so dass wir in die
Kompanie marschieren mussten.
Aber zum Frieren reichte bei acht Stunden Dienst auch weniger Kälte,
insbesondere bei Nacht. Wer längere Zeit saß, musste laufen, um wieder warm zu
werden.
Aber längeres Laufen macht müde und kostet Energie.
Setzte man sich anschließend wieder hin, fror man umso mehr. Da halfen auch zwei
Paar Strümpfe, Füßlinge, Einziehlinge aus Filz und Filzstiefel übereinander
nicht auf Dauer.
Typisches Grenzerwetter war für mich neblig und verregnet.
Ich war zwar kein Fan der Rockgruppe Puhdys. Aber einer ihrer Liedtexte passte
perfekt zu diesem Wetter: „Du wirst sehn wie Regen schwebt, wie sich Berg und
Tal verwebt, so fein...“.
Der Tod eines Kameraden
Während des Winters hatte ein
Soldat in der feuchten "Kirschallee" seine letzte Schicht vor dem Urlaub.
Das Klima war dort so unangenehm, dass man den mit dem Fahrer und einem weiteren
Posten besetzten LO dort zur Wache einteilte oder nur halbe Schichten anordnete.
Gegen 1 Uhr erhielt das damalige Postenpaar den Befehl, zu Fuß einzurücken.
Nachdem die Leute vor Kälte schon ganz steif waren, fingen sie in der dicken
Winterkleidung auf dem Rückweg an zu schwitzen.
Dazu kam noch die Aufregung des Urlaubers, der zudem in den drei vorangegangenen
Tagen sehr viel Dienst schieben musste und deswegen wenig geschlafen hatte.
Letztendlich: Das war für seinen Kreislauf zu viel. Er hat beim UvD seinen
Urlaubsschein abgeholt und ist dann auf der Bude tot umgefallen, angeblich wegen
eines nicht erkannten Herzfehlers, wie im Nachhinein verbreitet wurde.
Das ist uns natürlich sehr nahe gegangen.
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Aufgezeichnet im Jahr 2009 von einem ehemaligen Grenztruppenangehörigen.
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