Aus
meiner Dienstzeit beim Bundesgrenzschutz in Braunschweig (5. Hundertschaft)
Die DDR in
Flammen - Ein gescheiterter Fluchtversuch und die Folgen einer pyrotechnischen
Maßnahme
Das Jahr 1975 brachte einen der trockensten und heißesten Sommer hervor. Über
Wochen herrschte ein stabiles Hochdruckgebiet. Die dauerhaften hohen
Temperaturen waren für uns Nordlichter sehr ungewöhnlich.
Während dieser Hitzeperiode hatte Anfang August unsere Hundertschaft im normalen Rhythmus mal wieder die
Abteilungsdienste zu stellen.
Das heißt, eine Woche lang waren täglich etwa 25 Mann für Unterkunftswache,
Bereitschaftsgruppe und die drei bis vier Grenzstreifen eingeteilt.
Der Rest der Hundertschaft ging den üblichen Tätigkeiten nach. Bei der
vorherrschen Hitze suchte jeder gleich nach der morgendlichen Befehlsausgabe
ein kühles Plätzchen.
Im Kellergeschoss gab es einige angenehm kühle Räume, die auch über den gesamten
8-Stunden-Dienst zumindest dem Unterführercorps und den Funktionern als beliebte Aufenthaltsorte dienten. [Anm.: diese
Räumlichkeiten wurden übrigens auch dann gern aufgesucht, wenn es draußen nicht
so brütend
heiß war.]
Der Spieß hatte mich in der Woche
an fünf Tagen für den Grenzstreifendienst als
Streifenführer eingeteilt, davon drei Nachtstreifen mit Dienstbeginn zwischen
20.00 und 24.00 Uhr.
Also alles angenehme 8-Stunden-Dienste und kein Wach- oder Bereitschaftsdienst
über 24 Stunden. Diese 24-Stunden-Dienste waren den Unterführer-Frischlingen vorbehalten
bzw. denjenigen, die
keine so guten Karten beim Spieß hatten.
Und bei den Temperaturen war es natürlich zusätzlich von Vorteil, zur
Nachtstreife eingeteilt zu sein, wenn es dann nur noch 20-25° warm war.
Die
letzte der fünf Grenzstreifen musste ich in der Nacht von
Samstag auf Sonntag fahren.
Zur Streifengruppe gehörten neben mir als Streifenführer noch der Kraftfahrer
und zwei Streifenposten.
Abfahrt aus der Unterkunft um 22.00 Uhr, geplante Rückkehr am nächsten Morgen
gegen 06.00 Uhr.
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Der Hanomag 40/1gl
Ein typischer Mannschaftstransportwagen des BGS, der in den 1960er
und 70er Jahren auch für den Grenzstreifendienst eingesetzt wurde. |
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Vor Abfahrt musste neben dem Streifenbefehl natürlich noch die übliche Streifenausstattung
in Empfang genommen werden: MP5 und Pistole (für den Streifenführer), G1-Gewehre
und Schlagstöcke (für
Kraftfahrer und die beiden Streifenposten),
des Weiteren: Signalpistole, Funkgerät FuG 7b + 6b, Fernglas, Kartentasche,
Kompass, Streifenmappe
und natürlich ausreichend Verpflegung.
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MP5 |
Pistole P38 |
Gewehr G1 |
Signalpistole Diana |
Schlagstock |
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FuG
7b |
FuG
6b |
Kartentasche |
Kompass Bezard |
Taschenlampe |
Der Streifenbefehl sah die Grenzüberwachung im südlichen Grenzabschnitt der
Braunschweiger Abteilung auf
einer Länge von etwa 20 km vor und zwar von Mattierzoll (B 79) bis
Steinfelder Zoll südöstlich von Schladen. Abgesehen von den Stechfliegen und
Mücken im Gebiet des Schiffgrabens erwarteten wir einen relativ ruhigen
Nachtstreifendienst. Für den Fall, dass eine Streifenkontrolle anrollen sollte,
gab es ein vereinbartes "Warnsignal" von der Funkmeldestelle der Abteilung.
An dem einen oder anderen Punkt war "stehende Beobachtung" von jeweils ca. 30
Minuten Dauer vorgesehen, ein Streckenabschnitt (ca. 4-5 km) musste als "Fußstreife"
zurück gelegt werden, ansonsten
"Mot.-Streife" - also Grenzüberwachung auf vier Rädern.
Die ersten sechs Dienststunden verliefen, wie vermutet, ganz normal. Die Streifenbesatzung hatte sich gut
auf den Dienst vorbereitet.
Der Kraftfahrer war ausgeschlafen und die beiden Streifenposten nutzten die etwa
45-minütige Anfahrt zur Grenze, um ihre Geschichten aus der Zeit als kanadische
Waldarbeiter zu erzählen.
Im Streifenbericht war erst einmal nichts Besonderes zu vermerken gewesen, zumal
die Mondphase auf Neumond gestellt war und außer den Scheinwerfern des einen
oder anderen Grenztruppenfahrzeugs auf der anderen Seite der Grenze kaum etwas zu
erkennen war.
Stündlich
musste noch die Meldung an die Abteilung per Funk mit
Standortdurchgabe und kurzem Lagebericht abgegeben werden. In der Regel hieß es dann in
der Meldung: "Keine besonderen Vorkommnisse und Erkenntnisse".
Dies sollte sich im Laufe der restlichen Streifendienstzeit jedoch noch
schlagartig ändern.
Gegen 04.00 Uhr näherten wir uns der Göddeckenroder Straße - von der Osterwieker
Straße kommend über die Rimbecker Straße und durch das Probsteiholz. Der MTW
musste sich den Anstieg hoch zum Probsteiholz schon mächtig quälen.
Am Meldepunkt 266 "Trittelbergweg", 250 Meter westlich vom Probsteiholz,
war lt. Streifenbefehl
die vorletzte stehende Beobachtung vorgesehen.
Aufgrund des fehlenden Mondlichts fuhr der MTW nicht mit Tarnlicht sondern mit
Abblendlicht.
Tarnlicht war sowieso unsinnig, da allein schon das Motorengeräusch des Hanomags
unsere Anwesenheit verriet.
Die beiden Streifenposten hatten es sich mal wieder gemütlich gemacht und ihre
Sägen angesetzt.
Der Kraftfahrer stimmte sich auch so langsam auf eine halbstündige Ruhepause
ein. Ich selbst wollte die Zeit nutzen, um den Streifenbericht zu schreiben.
Vorher sollte nur noch schnell an die Abteilung die nächste Standortmeldung
mit dem Zusatz "Keine
besonderen Vorkommnisse!"
per Funk abgesetzt werden.
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Streifenführer (re.) beim Absetzen einer Funkmeldung über das im
Kfz. eingebaute Funkgerät FuG 7b. Links im Bild der Kraftfahrer. |
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Auf der
Anhöhe verließen wir den Rand des Probsteiholzes und näherten uns dem Trittelbergweg. Auf
der anderen Seite waren die Scheinwerfer zweier Grenztruppenfahrzeuge zu
erkennen.
Anhalten, Motor abstellen, beobachten und die beiden Fahrzeuge mit im
Streifenbericht erfassen. Nichts Besonderes, wie es schien. Aber es kam
anders.
Kaum
war der MTW zur Ruhe gekommen, hörten der Kraftfahrer und ich von der anderen
Seite der Grenzsperranlagen her hektische Rufe und lautes Schreien, das
sogar die Geräusche aus dem hinteren Teil unseres Fahrzeuges übertönte.
Sofort raus aus dem Fahrzeug und die Lage sondieren. Die beiden Streifenposten
mussten sich erst einmal kräftig schütteln, um wieder in die Realität zurück zu
finden.
Aufgrund der Dunkelheit (wie bereits erwähnt: es war Neumond) war auch mit dem Fernglas nur
schemenhaft zu erkennen, dass mehrere DDR-Grenzer an den Sperranlagen hin und
her liefen. Das wenige vorhandene Licht, das die Scheinwerfer der
Grenztruppenfahrzeuge lieferte, reichte nicht aus, um Genaueres zu erkennen.
Wir konnten nur vermuteten, dass es sich um einen gescheiterten Fluchtversuch
handelte, der sich hinter den Sperranlagen abspielte. Die verzweifelten Schreie und das vielstimmige laute Gebrüll zumindest
deuteten darauf hin.
Mehr
Licht musste her! Also die Signalpistole zur Hand und eine Leuchtpatrone weiß
(Vorfeldbeleuchtung) senkrecht in die Luft gefeuert.
Es wurde kurzzeitig taghell. Das Sichtergebnis war zufriedenstellend. Wir
konnten gerade noch erkennen, dass eine Person von mehreren Grenzern zu einem
der Fahrzeuge abgeführt wurde.
Eindeutig ein gescheiteter Fluchtversuch, wie schon vermutet.
Einen solchen Vorfall erlebte man Gott-sei-Dank nicht alle Tage und jedem von
uns war die Wut - aber auch die Hilflosigkeit - anzumerken.
Der Flüchtling schien aber nicht durch Waffengewalt verletzt worden zu sein. Zumindest
war in der Zeit, als unsere Streife am Trittelbergweg eintraf, kein Schuss zu
hören gewesen und der Flüchtling konnte sich
noch
selbst auf eigenen Beinen fortbewegen.
Der Streifenbericht würde nun wohl doch etwas ausführlicher ausfallen.
Schließlich mussten alle Beobachtungen und Erkenntnisse genauestens erfasst werden, da diese
besonderen Vorkommnisse von der Abteilung über das Grenzschutzkommando Nord in
Hannover weiter zum Bundesinnenministerium nach Bonn gemeldet wurden.
All diese Gedanken schwirrten einem durch den Kopf, als urplötzlich nochmals
ein Schein "aufflammte".
Die Erdanziehungskraft und evtl. eine unerwartet aufgetretene Windböe hatten die
Leuchtpatrone etwa 30 Meter auf das DDR-Gebiet gezogen - genau zwischen
Grenzverlauf, an dem wir standen und dem an dieser Stelle ca. 80 Meter
entfernten Grenzsperrzaun.
Letzte verglühende Reste des Pulvers
der Leuchtpatrone hatten sofort das knochentrockene Gelände
in Brand gesetzt und das den Grenzsperranlagen in Richtung Bundesrepublik vorgelagerte DDR-Hoheitsgebiet stand
hell erleuchtet in Flammen!
Hatten wir uns doch auf eine ruhige Grenzstreife eingerichtet. Nicht, dass der
missglückte Fluchtversuch schon genug gewesen wäre an besonderen Vorkommnissen!
Nun auch das noch!
Was tun? Das DDR-Gebiet durften wir auf keinen Fall betreten. Also brennen
lassen und so tun, als wäre nichts geschehen?
Was würde passieren, wenn von DDR-Seite eine offizielle Protestnote an die
Bundesrepublik gerichtet würde? "Eingriff in das Hoheitsgebiets der DDR durch
bewaffnete Kräfte des Bundesgrenzschutzes".
Keine Frage - auch dieser dumme Vorfall musste gemeldet werden, zumal zu
befürchten war, dass die Flammen auch auf Bundesgebiet übergreifen und die
landwirtschaftlich genutzten Flächen ebenfalls in Brand setzen könnten.
Die Streifenposten und der Kraftfahrer wurden zwecks Verhinderung eines Übergreifens
des Feuers auf Bundesgebiet mit dem Feuerlöscher aus dem MTW ausgestattet und
ich setzte umgehend die Meldung über den "Grenzbrand" per Funk an die Abteilung
ab.
Kurze Zeit später tauchten von den grenznahen bundesdeutschen Ortschaften Hornburg und Schladen
kommend Blaulichter auf.
15 Minuten, nachdem die ersten Flammen auf dem
DDR-Grenzgebiet loderten,
erfolgte schon der Ruf: "Wasser marsch!" und innerhalb kürzester Zeit war das
Feuer gelöscht.
Erst eine BGS-Leuchtpatrone auf DDR-Gebiet gefeuert, nun noch bundesdeutsches Wasser
hinterher. Das DDR-Grenzgebiet wurde an diesem Morgen außergewöhnlich stark
durch staatsfeindliche Kräfte belastet.
Ein ca. 50-80 Meter breiter und 20 Meter tiefer Grenzstreifen zunächst
verbrannter und mittlerweile gewässerter Erde wurde zurück gelassen.
Das Bundesgebiet wurde Dank des schnellen Feuerwehreinsatzes nicht in
Mitleidenschaft gezogen.
Erneute Meldung an die Abteilung: "Brand gelöscht und unter Kontrolle!"
Dem Streifenberichtvordruck mussten nun noch einige Sonderseiten hinzu gefügt
werden.
Wichtig war, dass in dem Bericht die Notwendigkeit der Anwendung der
Signalpistole nachvollziehbar begründet wurde und die abgefassten Meldungen
sowie erfolgten Maßnahmen im Bericht chronologisch und detailliert auftauchten.
Nach
pünktlicher Rückkehr in die Abteilung führte der erste Weg zum Offizier vom Dienst (OvD),
um ausführlich mündlich Meldung zu machen. Den schriftlichen Streifenbericht
verfasste ich anschließend nach Abgabe der Waffen und Geräte.
Der OvD meldete dann zum allgemeinen Dienstbeginn dem Kommandeur der Abteilung
das besondere Vorkommnis und ich durfte anschließend der Abteilungsführung den
schriftlichen Bericht vorlegen und den Vorfall am Trittelbergweg
nochmals ausführlich schildern.
Reaktion der Abteilungsführung:
Die Aufklärung eines vermuteten gescheiterten Fluchtversuchs hat den Gebrauch
der Signalpistole gerechtfertigt.
Die daraus erfolgten Störungen im Grenzgebiet waren nicht zu erwarten und auch
nicht beabsichtigt.
Alle weiteren Maßnahmen wurden seitens des Streifenführers zielgerichtet zur
Vermeidung weiteren Schadens und der Situation entsprechend angepasst
sachgerecht eingeleitetet.
In welcher Form mein Streifenbericht weiter geleitet wurde, entzieht sich leider
meiner Kenntnis. Ebenso, ob es von Seiten der DDR irgendwelche Reaktionen
gegeben hat.
Ich wurde jedenfalls weder von der Abteilungsführung noch von höherer Stelle ein
weiteres mal zu meinem "Grenzzwischenfall" befragt.
Lediglich in der Hundertschaft musste ich mit dem "Makel" leben, die DDR in
Flammen gesetzt zu haben.
Bis zum Schluss meiner achtjährigen Dienstzeit fuhr ich noch so manche
Grenzstreife - darunter auch etliche Nachtstreifen.
Und zu den Ausrüstungsgegenständen gehörte auch jedes mal die Signalpistole
inkl. Leuchtmunition.
aufgeschrieben von Wolfgang Roehl im April 2015
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