Birkengruppe verhinderte freie
Sicht auf Abbenrode – Eingriff in das Hoheitsgebiet der DDR
BGS-Angehörige erinnern sich
Am 07. November 1984 wurde die
Aussichtsplattform am Grenzübersichtspunkt Lochtum eingeweiht und für den
Besucher freigegeben.
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(BGS-Beamte mit örtlichen Politikern
kurz vor Einweihung der Plattform
Fotoquelle: Archiv DDR-GrTruppen) |
Min.Rat Gallwitz
durchschneidet das Absperrband |
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Nachdem Ministerialrat Manfred Gallwitz das Absperrband
durchschnitten hatte und man von der Plattform aus in die Grenzsperranlagen
sowie auf Abbenrode schaute, stellte der Betrachter schnell fest, dass fünf
Birken die Sicht auf Abbenrode einschränkten. Diese Birken standen dicht
zusammen direkt links vor der Eckerbrücke auf DDR-Gebiet. Die Sicht auf
Abbenrode konnte somit von westlicher Seite nicht verbessert werden.
Nach der Freigabe der
Aussichtsplattform lud das Nds. Ministerium für Bundesangelegenheiten alle
Beteiligten zu einem kleinen Umtrunk in eine Lochtumer Gaststätte ein. Danach
verlegte der Technische Einsatzzug ins Schützenhaus Lochtum, um einen Zugabend
abzuhalten. Das Schützenhaus liegt direkt neben der Degenmühle in unmittelbarer
Grenznähe ca. 1,5 Km vom Übersichtspunkt Lochtum entfernt. Die Stimmung war sehr
gut. Man freute sich gemeinsam mit Mitgliedern des Lochtumer Ortsrates sowie des
Bürgermeisters über die Fertigstellung der Aussichtsplattform.
Zu fortgeschrittener Stunde
fragte der BGS-Angehörige Lutz Schröder das Ortsratsmitglied Wilhelm Duderstadt,
ob es hier im Schützenhaus eine Bügelsäge gäbe.
Hintergrund dieser Frage war,
dass während der Einweihung sowohl die politischen Vertreter aus Hannover als
auch der derzeitige Sachbearbeiter Sicherheit der Bundesgrenzschutzabteilung
Goslar die ihrer Meinung nach unbefriedigenden Sichtverhältnisse angesprochen
hatten. Natürlich war daran offiziell nichts zu ändern, da sich die besagte
Birkengruppe auf DDR Gebiet befand. Und humorvoll wurde so nebenbei angemerkt,
dass die Aussicht doch ohne Birken viel besser wäre, wenn diese einfach umgesägt
würden.
Diese Anmerkungen der "Hohen
Tiere" aus Hannover wurden dann im Schützenhaus - zugegeben nach reichlichem
Genuss allerlei alkoholischer Getränke - noch einmal ausführlich erörtert.
So reifte der Entschluss,
die Birken schnellstmöglich umzusägen. Nach weiterem alkoholischen Zuspruch und
der Zusage für einen weiteren Umtrunk seitens Wilhelm Duderstadt, erklärten
sich Lutz Schröder und zwei weitere Kameraden bereit, die Sache jetzt und sofort
durchzuführen.
Und so kam es zu schon oben
angeführten Frage nach einer Bügelsäge. Nach geraumer Zeit kam dann auch Wilhelm
Duderstadt mit einer kleinen Astbügelsäge an. Das Sägeblatt war total stumpf,
dieses wurde jedoch erst später am „Tatort“ festgestellt.
Da alle noch in Uniform waren,
wurden die Schulterstücke abgenommen und los ging es. Vom Schützenhaus über das
freie angefrorene Feld wurde der Aussichtspunkt nach ca. 15.Minuten erreicht.
Ein wenig Angst war schon
dabei. Man betrat nicht einfach mal so DDR Gebiet und schon gar nicht in
Uniform. Dieses war ein Verstoß gegen die Dienstvorschriften und würde bei
Bekanntwerden disziplinarisch verfolgt. Aber der Alkohol verdrängt ja
bekanntlich vieles.
Die Jungs
machten sich an die Arbeit und sägten die Birken fleißig an. Es wurde vorab
beschlossen, die Stämme nur soweit anzusägen, dass sie noch stehen blieben. Der
Verdacht sollte nicht sofort auf den BGS fallen, da ja an dem Tag die
Einweihung der Aussichtsplattform gewesen war.
Die Prozedur dauerte sehr lange,
da - wie gesagt - das Sägeblatt saustumpf war und alle ziemlich betrunken. Auch
deshalb verursachte der Sägeeinsatz entsprechenden Lärm - die andauernden Flüche
mit inbegriffen.
Einmal musste zudem eine Pause
eingelegt werden, da auf der östlichen Seite ein Grenzstreifenfahrzeug auf dem
Kolonnenweg vorbeifuhr.
Das Einsatzkommando war die
ganze Zeit über trotz des Alkoholpegels doch sehr angespannt.
Erst als die kleine Gruppe wieder sicher auf bundesdeutschem Boden stand und das
Schützenhaus in Sichtweite war, löste sich die Anspannung und alle brachen in
großes Gelächter aus.
Die Säge kam wieder an ihren
angestammten Platz und es wurde fleißig weitergefeiert. Selbstverständlich wurde
Stillschweigen über die Sache vereinbart. Wie viele Personen etwas davon
mitbekommen hatten, ist nicht bekannt. Nur das Ortsratsmitglied Duderstadt, der
Gruppenführer Lothar Engler, Lutz Schröder und zwei weitere Kameraden waren an
diesem Abend eingeweiht.
Als Lothar Engler und Lutz
Schröder ca. zwei Wochen später während des Dienstes zur Aussichtsplattform
fuhren, waren alle Birken umgefallen. Der Blick nach Abbenrode war zwar noch
nicht vollständig frei, aber etwas besser!
Und der Vorfall
war
mittlerweile auch von DDR-Seite bemerkt worden. Es befanden sich Grenzaufklärer vor Ort,
um die Sache zu dokumentieren.
Für die
Grenzaufklärer der DDR stellte sich der Vorfall wie folgt dar:
Selbstverständlich wurde der
Bau der Aussichtsplattform in den einzelnen Bauabschnitten durch Grenzaufklärer
akribisch verfolgt und dokumentiert.
Für die zu erwartende
Personenbewegungen auf der Aussichtsplattform boten die natürlichen
Bedingungen durch Pflanzenbewuchs auf DDR-Seite optimale Bedingungen für eine
gedeckte Aufklärung. Durch den Bau der Aussichtplattform erwartete man eine
verstärkte Anreise von hochrangigen Personen des öffentlichen Lebens,
Reisegruppen und Führungen von Einheiten der NATO -Streitkräfte.
(obige Fotos sind in den Jahren 1985 bis 1989
aufgenommen worden)
Aus nicht mehr
bekannten
Gründen kam es im November 1984 nach der Einweihung der Plattform zunächst
mehrere Tage lang nicht mehr zu Einsätzen von Grenzaufklärern vor dem Grenzzaun
an der Straße Lochtum.
Anhand von noch vorhandenen
Unterlagen (handschriftliche Aufzeichnungen) ist ersichtlich, dass erst
am 18.11.1984 festgestellt wurde, dass einige Birken angesägt waren.
Das Ereignis wurde
entsprechend dokumentiert. Zwei oder drei Birkenstämme mit einem Durchmesser von
ca. 10 bis 15 cm waren zu 2/3 angesägt. Damit war die Absicht des „Täters“ klar:
die Bäume sollten erst bei einer entsprechenden Windstärke brechen. Die
Einschnittstellen waren bereits leicht angetrocknet, so dass man davon ausgehen
konnte, dass der Vorgang schon mehrere Tage zurück lag.
Wann die Birken letztendlich
durch Wind oder sonstiger Einwirkungen umgefallen sind, ist nicht mehr
nachzuvollziehen.
Bis zur Feststellung des
Ereignisses durch Grenzaufklärer vergingen mehr als 10 Tage,
weil nach der „Tat“
zwischenzeitlich keine Grenzaufklärer vor dem Zaun eingesetzt waren. Ansonsten
wäre der „Sabotageakt“ sicherlich früher bekannt geworden.
Auf Grund des starken
Bewuchses entlang der Ecker in nördliche Richtung war es auch unmöglich,
Personenbewegungen westlich der Ecker festzustellen. Es gab somit keinen Hinweis
auf Täter oder Tatzeit.
Durch die verantwortlichen
Grenzaufklärer Helmut Maushake und Andreas Würz wurde beschlossen, über das
Ereignis Stillschweigen zu bewahren. Eine offizielle Meldung an die vorgesetzten
Dienststellen wäre erwartungsgemäß mit einer Vielzahl von Rückfragen verbunden,
die niemand hätte beantworten können.
Natürlich wurde von Anfang an
vermutet, dass der „Anschlag“ von bundesdeutscher Seite deswegen ausgeführt
wurde, um die durch die Birken und den sonstigen Bewuchs hervorragend getarnte
Stellung der Grenzaufklärer zu enttarnen. Problemlos war es möglich, von hier
aus unentdeckt Angehörige der bundesdeutschen Grenzüberwachungsorgane, der NATO
–Streitkräfte, ihre Dienstgrade und taktischen Zeichen oder sonstige auffällige
Personen mit einem Objektiv mittlerer Brennweite zu fotografieren.
Dass es den "Tätern" bei dem „Anschlag“ auf
die Birken nicht darum ging, die getarnte Stellung der Grenzaufklärer frei zu
legen, sondern die
Einsehbarkeit des näheren Ortsrandes von Abbenrode zu verbessern, wurde jedoch erst 30
Jahre später im Rahmen des Abbenroder Grenzertreffens aufgeklärt.
Die Aufklärung
des Birkenanschlags
Im Oktober 2013 entstand aus einer Idee von Lothar Engler ein sogenanntes
„Grenzertreffen“. Hierbei handelt es sich um ehem. Zöllner,
Grenztruppenangehörige und Bundesgrenzschützer. Diese Grenzer treffen sich in
loser Folge mehrmals im Jahr im Heimatmuseum in Abbenrode. Sie tauschen sich
über ihren damaligen Dienst an der Grenze aus, ordnen Bilder zu und arbeiten
gemeinsam an der Aufarbeitung der Geschichte der ehem. innerdeutschen Grenze.
Teilnehmer des "Grenzertreffens"
Schon beim ersten Treffen
fragte Lothar Engler die Grenztruppenangehörigen, wer denn den Brandanschlag am
06. Dezember 1986 auf die Aussichtsplattform verübt hat. Eine Beteiligung
seitens der Grenztruppen wurde selbstverständlich von ihnen bestritten.
Im Frühjahr 2014 hatte der
ehem. Grenztruppenangehörige Helmut Maushake zu seinem 70-igsten Geburtstag auch
eine Abordnung aus dem Kreis des Grenzertreffens zu sich eingeladen.
Zu später Stunde kam wieder
die Frage von Lothar Engler: „Nun raus mit der Sprache. Wer von euch hat das
Podest angesteckt?“
„Keiner von uns!“, entgegnete der
ehem. Grenzaufklärer Andreas Würz.
„Aber ich kann mich erinnern, dass da
kurz nach der Einweihung des Podestes im Herbst 1984 Birken
angesägt waren, die direkt an der Eckerbrücke standen. Den Schaden habe ich
festgestellt und auch Bilder davon gefertigt.“
Helmut Maushake war dieser
„Anschlag“ auch sofort wieder bewusst und er holte sogleich seinen Ordner mit
Negativen hervor. Durch ca. 10 Bilder wurde
der „Sabotageakt“ am 18. November 1984 festgehalten.
Andreas Würz hatte sogar ein
Kalenderblatt mit Zentimetereinteilung in die Sägeschnitte hineingesteckt, um
die Schnitttiefe festzustellen.
Für einen vernünftigen Abschluss der Aufarbeitung
des Birkenanschlags war es selbstverständlich erforderlich, dass sich die damals
Beteiligten noch einmal am "Tatort" einfinden mussten.
Anfang März 2015 trafen sich deshalb der ehemalige
BGS-Beamte (und Täter) Lutz Schröder sowie die beiden ehemaligen
DDR-Grenzaufklärer Helmut Maushake und Andreas Weihe an der Eckerbrücke vor
Abbenrode zu einer abschließenden Fotosession und einem versöhnlichen
Handschlag.
Ende gut - alles gut!
Auf den sechs Fotos (oben und unten)
jeweils v.l.n.r.: Lutz Schröder (BGS), Helmut Maushake und Andreas Würz
(GAKs) |
Anmerkung zum Schluss
dieser zur heutigen
Zeit erheiternden
Geschichte zwischen Ost und West:
Wir alle, die dem festen Kreis
des Grenzertreffens angehören, verstehen uns sehr gut. Jeder akzeptiert den
damaligen
Dienst des „anderen“!
Bei den Zusammenkünften kommen
natürlich auch ungewöhnliche Ereignisse zur Sprache. Die
Aktion „Birkenschnitt“ ist
ein solches besonders Ereignis.
Und wenn mit der Aufarbeitung dieser Geschichten
heutzutage neben oftmaligen Erstaunen auch noch die Lachmuskeln strapaziert
werden (und letztendlich jeder auch über sich selber lachen kann), trägt dies umso
mehr dazu bei, dass sich die Grenzertruppe bestens versteht.
aufgeschrieben im Juli 2014
von Andreas Würz,
Helmut Maushake, Lutz Schröder und Lothar Engler /
zusammengestellt von Wolfgang Roehl / Fotos
vom Birkenanschlag von Andreas Würz und Helmut Maushake / Restfotos von Werner
Linde, Lothar Engler und Wolfgang Roehl
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